Die historischen Ereignisse auf deutschem Boden in unserem Jahrhundert haben es für heutige Autoren und Verleger geradezu zur Pflicht gemacht, sich regelrecht dafür zu entschuldigen, wenn sie ein Buch über die Runen und ihren Gebrauch vorstellen. Ich kann und will hier nicht weiter darauf eingehen, wie dies zu bewerten ist, möchte aber — gewissermaßen als Programm für dieses Werk — festhalten: Die Runen sind weitaus älter als ihr politischer Mißbrauch im Dritten Reich, man kann sie nicht dafür verantwortlich machen, daß sie zum Signet nationalsozialistischer Willkürherrschaft geworden sind.
Das wäre nicht nur unhistorisch gedacht, es käme auch einer Pauschalverurteilung gleich, die den Praktiken der „Heiligen» Inquisition an Verwerflichkeit ins nichts nachstünde. Es wird Zeit für ein unverkrampftes, entideologisiertes Verhältnis zu unserem kulturellen Erbe, um damit auch die Vorteile zu nutzen, die die Arbeit mit den Runen anbietet. Soviel zur Einordnung dieses Buchs.
Für mich persönlich haben die Runen seit jeher eine merkwürdige Mischung aus Faszination und Ehrfurcht ausgestrahlt, das hat sich durch die Arbeit an diesem Buch eher noch verstärkt. Es ist nicht notwendig, sich in die keulenschwingenden Attitüden und Plattitüden eines Pseudogermanentums zu versteigen, um die Kraft der Runen zu spüren, um jene Weisheit zu erahnen, die uns durch die verschiedenen Runensysteme über die Jahrhunderte hinweg anweht. Die Runen sind eine Entwicklung äußerst bodenständiger, schamanisch denkender und fühlender Völkerstämme, die sogar noch in ihren heiligsten Weihehandlungen nie den Kontakt zur Alltagswirklichkeit verloren. Auf diese Aspekte wird die folgende Einleitung noch näher eingehen.